Bad Segeberg (em) Seit einigen Tagen ist die Situation der Familie Hakopjan in vielerlei Munde. Ursache dafür ist die aktuelle Berichterstattung über eine mögliche, drohende Abschiebung nach Armenien. Familie Hakopjan lebt seit 2001 in Deutschland und seit sieben Jahren im Amt Itzstedt. Die Kinder sind in Deutschland geboren.

Doch nach zahlreichen Verhandlungen kommt nun die bittere Entscheidung: Die Familie wird abgeschoben! Das sagt die Landrätin des Kreis Segeberg:

„Es handelt sich um eine nach eigenen Angaben aserbaidschanische Familie, die nach rechtskräftiger Ablehnung im Asylverfahren in 2006 bis zur beabsichtigten Abschiebung am 31. Januar 2014 zu dulden war. Grund hierfür waren durchgängige Falschangaben zu Personalien und Staatsangehörigkeit, so dass kein Passpapier zur Abschiebung erlangt werden konnte. Nach einem langjährigen Ermittlungsverfahren wurden durch Beteiligung der Deutschen Botschaft und Vertrauensanwälten in Armenien der dortige Voraufenthalt, die Registrierung und die Eltern der Familie festgestellt. Es handelte sich tatsächlich um eine armenische Familie mit anderen Namen. Von der Familie und dem Rechtsbevollmächtigten wurde dies jedoch bis zum Abschiebungsdatum konsequent abgestritten. Nach Ablehnung im Asylverfahren wurde mit den falschen Personendaten gegen den Kreis Segeberg ein Rechtsverfahren angestrengt, das auf die Feststellung von humanitären Ausreisehindernissen gerichtet war.

Sowohl vom Oberverwaltungsgericht Schleswig als auch vom Bundesverwaltungsgericht Leipzig wurde im Jahr 2011 abschließend und rechtskräftig die Ausreiseverpflichtung der Familie bestätigt. Humanitäre Anspruchsgrundlagen wurden nicht festgestellt. Ein gesondertes Rechtsverfahren zur Feststellung eines Ausreisehindernisses wegen einer Fehlbildung des Daumens des ältesten Sohnes lehnte das Verwaltungsgericht Schleswig unter Hinweis auf die zumutbare und mögliche Fortbehandlung im Heimatland ab. Auch weitere eigene Rechtsverfahren der jüngeren Kinder sowie Verfahren zur Gewährung einer Arbeitserlaubnis versagte das Verwaltungs- und Oberverwaltungsgericht Schleswig. Die armenischen Heimatbehörden stimmten auf der Grundlage der zwischenzeitlich erlangten behördlichen Erkenntnisse der Rückübernahme und stellten Abschiebungspapiere aus, die bis Anfang Februar 2014 befristet waren. Mit dem Familienvater ist dieser Sachverhalt mehrfach ausführlich beraten und besprochen worden.

Der Familie ist die freiwillige Erfüllung der seit 2006 vollziehbaren Ausreisepflicht und Abschiebungsandrohung aus dem Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlingen empfohlen worden. Herr Hakopjan stellte klar, dass ein freiwilliges Verlassen unter keinen Umständen erfolgt und sämtliche Maßnahmen zur Verhinderung der Ausreise unternommen würden. Aus diesem Verhalten ergab sich die rechtliche Verpflichtung der zwangsweisen Aufenthaltsbeendigung, in enger Abstimmung mit der zuständigen Koordinierungsstelle des Landes Schleswig-Holstein (Landesamt Neumünster) wurde die Abschiebung vorbereitet. Es handelt sich hierbei um einen umfangreichen Abstimmungsprozess, in den Grenzbehörden, ärztliche Begleitung, armenische Stellen, Polizei etc. einzubeziehen sind. So vergingen weitere Wochen bis zum 31. Januar 2014. Um 6.15 Uhr wurde bei der Familie geklingelt. Gründe für die Zeit sind der frühe Schulbeginn, die rechtzeitige Verbringung zum Flughafen und eine eventuell notwendige Türöffnung gegen den Willen der Familie. Die Familie öffnete jedoch und ließ die Beteiligten (Zwei zivile Vollzugskräfte des Landesamtes Neumünster zur Begleitung, ein behördlich bestellter und in Ausreiseangelegenheiten versierter Arzt, zwei männliche und zwei weibliche Polizisten und ein Mitarbeiter der Ausländerbehörde) in die Wohnung. Nach dem Setzen im Essbereich wurden der Grund der frühen Vorsprache und die beabsichtigte Ausreisemaßnahme erörtert. Der Familie wurde Gelegenheit gegeben, sich telefonisch an Vertrauenspersonen, Anwalt und Schule zu wenden und die persönlichen Gegenstände/Kleidung zu packen.

Noch während der Maßnahme wurden Verwandte, Schulleiter, Pastoren und das Verwaltungsgericht telefonisch und persönlich vom Sachstand und der Rechtslage informiert und Abstimmungen, z. B. zur späteren Auflösung der Wohnung und des Eilrechtsverfahrens gegen die Abschiebung getroffen. Nach dem die Verweigerungshaltung bis 7.45 Uhr (ca. 1,5 Stunden) andauerte, wurde Herr Hakopjan in den Polizeibus verbracht. Frau Hakopjan hat unter Beobachtung von zwei Polizistinnen sich und die Kinder angezogen und die persönlichen Dinge in vorhandene Koffer verstaut. Anschließend wurden sie und die Kinder ebenfalls zu den Fahrzeugen gebracht. Um allen Eventualitäten begegnen zu können, war vom Beginn bis zum Abbruch der Maßnahme ein Arzt anwesend. Besondere medizinische Umstände wurden durch ihn zu keinem Zeitpunkt festgestellt.

In der Regel werden die Abschiebungsmaßnahmen von Mitarbeitern des Landesamtes für Ausländerangelegenheiten in Amtshilfe für den Kreis Segeberg durchgeführt. Zur Vermeidung von Eigen- und Fremdgefährdung sind grundsätzlich Polizeivollzugskräfte während der Maßnahme anwesend. Zur Entspannung von Konfliktsituationen, zur Erläuterung und Beruhigung war in diesem Fall zusätzlich ein der Familie bekannter Mitarbeiter der Ausländerbehörde des Kreises Segeberg dauerhaft anwesend. Eine bedrohliche oder unangemessene Situation ist trotz der Anwendung von unmittelbarem Zwang durch die Polizei gegen Herrn S. zu keinem Zeitpunkt entstanden. Dies ist der guten Vorbereitung und Besonnenheit aller Beteiligten und der maßvollen aber notwendigen Einsatzkräftebemessung geschuldet.

Die Familie hatte sich im Gewahrsam der Bundespolizei am Flughafen (ab ca. 9.15 Uhr) beruhigt und scheinbar mit der Ausreise abgefunden. Gemeinsam mit einer Ausreise- und Abschiebungsbeobachterin der Diakonie am Flughafen, wurde die Familie im Gewahrsam durch Mitarbeiter betreut, es wurde mit den Kindern gespielt, um die Wartezeit zu verkürzen. Da die Familie angab, nicht über genügende Barmittel zu verfügen, wurden in Abstimmung mit der Ausreisebeobachterin durch die Diakonie 250 Euro vorgestreckt, die anschließend durch die Ausländerbehörde zurückerstattet werden sollten. Unmittelbar vor dem Einsteigen in das Flugzeug wurde die Abschiebung durch einen Eilrechtsbeschluss des Verwaltungsgerichts Schleswig gestoppt. Die Familie ist daraufhin vom Landesamt unter Aushändigung der Schlüssel in die Wohnung zurück gebracht worden.“

Zusammenfassung:
„Es ist festzuhalten, dass die Ausländerbehörde nach Ablehnung sämtlicher Asylverfahren durch das Bundesamt, sowie der höchstrichterlichen Feststellung der Ausreiseverpflichtung, mit der zwangsweisen Abschiebung eine Weisungsangelegenheit auszuführen hatte. Grundlage sind gültige Bundes- und Landesgesetze wie das Asylverfahrensgesetz, das Aufenthaltsgesetz, die Verwaltungsgerichtsordnung sowie das Landesverwaltungsgesetz für Schleswig-Holstein. Die bundesrechtliche Abschiebungsandrohung und die gleichzeitig gesetzte Frist zur freiwilligen Ausreise von einem Monat waren bereits Ende 2006 abgelaufen und der Familie bekannt. Bis zur Maßnahme wurden durch die Familie und den Rechtsbevollmächtigten ein Einlenken und eine freiwillige Erfüllung kategorisch ausgeschlossen.

Das weitere Vorgehen war insoweit durch das Verhalten bestimmt worden. Die unangekündigte Abschiebung war vor einer Inhaftierung beider Eltern bis zur Abschiebung als milderes Mittel zu bewerten. Die überraschende Maßnahme war nach den vorherigen Einlassungen der Familie und des Rechtsbevollmächtigten allerdings notwendig, um die Durchführung der umfangreichen Abschiebung sicherzustellen und eine eventuelle Eigengefährdung der Familienmitglieder zu verhindern. Grundlage sind hierbei Erlassvorgaben der Fachaufsicht beim Innenministerium sowie die bundesrechtlichen Bestimmungen zur Rückführung auf dem Luftwege. Nachdem gültige Abschiebungspapiere vorlagen, waren die Duldungsgründe entfallen. Die Nichtdurchführung hätte einen Rechtsverstoß bedeutet. Weitere Anspruchsgrundlagen für einen Verbleib sind nach umfänglicher, behördlicher Prüfung nicht ersichtlich und wurden zudem durch den Rechtsanwalt und die Familie nicht beantragt.

Das Verwaltungsgericht Schleswig hat in seinem Eilrechtsbeschluss vom 31. Januar 2014 nicht die Rechtswidrigkeit der Abschiebung, sondern lediglich ein formelles Versäumnis festgestellt. Dieses ist kurzfristig nachzuholen. Es führte allerdings zum Abbruch der Maßnahme. Die Befristung der Länge der Sperrwirkung der Abschiebung erfolgte nach bisheriger Rechtsprechung und Erlasslage erst nach der tatsächlichen Durchführung der Maßnahme, um das Verhalten der Personen während der Durchsetzung in das Ermessen miteinbeziehen zu können.

Durch Mitteilung und Erlass der Fachaufsicht beim Innenministerium Schleswig-Holstein vom 6. Februar 2014 (eine Woche nach der Abschiebung) ist aufgrund einer aktuellen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes nun eine Befristung der Sperrwirkung für einen Aufenthalt im Bundesgebiet bereits vor der Abschiebung vorzunehmen. Dies kann jederzeit nachgeholt werden. Rechtsmittel gegen die Festlegung der Dauer der Aufenthaltssperre entfalten keine aufschiebende Wirkung, d. h. die Familie müsste die Entscheidung des Gerichtes im Ausland abwarten. Grundsätzlich sind von allen Behörden Gerichtsentscheidungen umzusetzen.

In diesem Fall letztinstanzliche Bundesgerichtsentscheidungen bestehen de facto keine Ermessensspielräume mehr für die ausführenden Stellen. Der von einem Bundestagsabgeordneten angeführte § 25 a Aufenthaltsgesetz ist a) nicht geändert und b) nicht anwendbar. Wir bedauern sehr, dass diese Falschinformation gerade von an Bundesgesetzverfahren Beteiligten zusätzlich beunruhigt hat.“

Aussicht:
„Nach der Stellung eines antragsbezogenen Härtefallersuchens durch den Rechtsbevollmächtigen bei der Härtefallkommission des Landes Schleswig-Holstein wird die abschließende Entscheidung des Innenministers abgewartet. Die Duldungen der Familie wurden und werden bis dahin verlängert.

Dem Innenminister ist es im Rahmen des Härtefallverfahrens alleinig möglich, sich von der bisher festgestellten Rechtslage zu trennen und die nun vorgetragenen, integrativen Hintergründe durch die Anordnung der Erteilung einer humanitären (Härtefall-)Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 a Aufenthaltsgesetz in seine Entscheidung miteinzubeziehen. In einem bis zur letzten Instanz beim Bundesverwaltungsgericht ausgefochtenen Verfahren sieht das deutsche Recht nur noch eine Art Gnadenrecht vor, dass eine Härtefallkommission ausüben darf. Damit werden alle gerichtlichen Entscheidungen de facto außer Kraft gesetzt. Die Familie beginnt dann u. a. unter Offenlegung ihrer wahren Identität wieder ein neues aufenthaltsrechtliches Verfahren.

Eine andere Praxis im Umgang mit asylsuchenden Menschen, die aus den verschiedensten Gründen sehr lange bei uns leben, ließe sich nur auf der Basis eines neuen Bundesgesetzes zur Ein- und Zuwanderung finden. Die gesellschaftlichen Realitäten haben sich sehr verändert, denen kann nur ein neues Einwanderungsgesetz Rechnung tragen. Nur neue Gesetze könnten den Gerichten sowie allen anderen Verwal-tungsbehörden überhaupt gesellschaftlich gewollte Handlungsspielräume ermöglichen.“