Norderstedt (em) Ein stattlicher Baum, dessen einstmals mächtige Krone komplett gekappt wurde also ein toter Baum? Keineswegs. So wie der noch annähernd sechs Meter hohe Stamm einer Buche am Norderstedter Buchenweg, so erfüllen die sogenannten Habitatbäume eine wichtige ökologische Funktion als Lebensraum zahlreicher Tierarten.

„Das Thema setzt sich aus baumpflegerischer Sicht immer mehr durch“, sagt Christoph Lorenzen, Baumexperte beim Betriebsamt der Stadt Norderstedt. Und so finden sich mittlerweile auf dem Gebiet der Stadt Norderstedt einige solcher Habitatbäume, deren Baumkronen nicht mehr zu retten waren, deren Stämme jedoch von Kleinlebewesen ebenso bewohnt werden wie von Vögeln oder auch Fledermäusen.

„Ohne Spalten und Höhlen in Bäumen, ohne Unterschlupf im Totholz könnten viele Insektenarten, aber auch Vögel und Säugetiere unserer Landschaft nicht überleben“, sagt Lorenzen. Die 70 bis 80 Jahre alte Buche nördlich des Neubaugebietes Garstedter Dreieck war über Jahre hinweg begutachtet und kontrolliert worden. Am Ende wurde im vorigen Jahr entschieden, aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht nur die Baumkrone radikal zu kürzen, sondern den vormals rund 23 Meter hohen Chausseebaum zu kappen. „Das ist und bleibt die letzte Möglichkeit der Baumpflege“, erklärt Lorenzen. Vorher müssten immer unter anderem Erziehungs- und Aufbauschnitte, Kronenauslichtungen, Kroneneinkürzungen oder der Einbau von Kronensicherungen erwogen werden.

Für die zahlreichen Baumbewohner aber bedeutet es eben nicht das Ende. „Es leben zum Beispiel Käfer, die auf der Roten Liste der bedrohten Arten stehen, im alten Baumbestand wie hier“, so Christoph Lorenzen. Zu diesen besonders geschützten Arten kann auch der seltene Hirschkäfer gehören. Zuerst sind es bestimmte Arten von Pilzen, die an Schnittstellen, an Stellen von Blitz- oder Frostschäden damit beginnen, Spalten zu vertiefen, indem sie das Holz zersetzen. Baumfachmann Lorenzen: „Das ist ein Prozess, der über Jahre hinweg läuft.“ Es entstehen größere Höhlungen, die häufig auch von Spechten bearbeitet werden. Zu den Bewohnern solcher Habitatbäume zählen unter anderem auch Grau-, Grün- und Schwarzspechte. Und schließlich werden die Baumhöhlen für heimische Fledermausarten attraktiv.

„Wir beobachten jeweils über längere Zeit, ob wir Hinweise auf Fledermäuse finden“, so Lorenzen. So auch im Bereich der Buche am Buchenweg neben der sich übrigens bereits ein von der Stadt gepflanzter „Nachfolger“ in die Höhe reckt. Der „Rest-Baum“ kann im besten Fall noch über Jahre hinweg seine wichtige Funktion erfüllen, wie der Baumexperte erläutert: „Der Wind kann jetzt kaum noch angreifen, um die Verkehrssicherheit müssen wir uns also keine Sorgen mehr machen. Selbst wenn die Aushöhlungen im Inneren weitergehen, kann der Baum noch jahrelang als Lebensraum dienen.“

Wenn Bäume auf diese Art gekappt und dann als Habitatbäume erhalten bleiben, reagieren Nicht-Fachleute manchmal irritiert, wie Lorenzen weiß. Zuletzt gab es Fragen von Anwohnern, nachdem die Stadt die Bäume entlang der Ochsenzoller Straße aufwendig hatte pflegen und beschneiden lassen und an der Einmündung Ochsenzoller Straße/Birkenweg ebenfalls drei nackte Stämme hatte stehen lassen. „Wir kennzeichnen solche Habitatbäume mit einem Schild, das einen Specht zeigt, um den Naturschutzaspekt deutlich zu machen“, sagt der Baumfachmann.