Norderstedt (ng/svb) „Wir sind nicht hier, um Wahlkampfreden zu hören, sondern möchten den Menschen Robert Habeck, seine Ansichten und die Hintergründe seiner Meinungsbildung kennenlernen! Genau dies ist das Ziel der neuen Veranstaltungsreihe ‚Stadtmagazin trifft ...‘, in der die Leser interessante Menschen in kleinem Kreis persönlich kennenlernen und befragen können“, so Sven Boysen, Moderator der Veranstaltung. Und tatsächlich Habeck ließ vor dem mit über 50 Besuchern komplett besetzten Saal in den Nordport Towers wirklich keine Frage unbeantwortet.

Sven Boysen: „Würden Sie lieber ein Bier mit Jost de Jager oder Torsten Albig trinken? Nach Wolfgang Kubicki frag ich gar nicht ...“

Robert Habeck: „Das ist aber falsch gefragt, weil ich gerade auf dem 60. Geburtstag von Kubicki war und mich mit ihm eigentlich ganz gut verstehe und unterhalten kann. Kubicki wäre mit Sicherheit ein super Sparringspartner, eine Koalition würde jedoch schwierig werden. Ich komme mit allen gut klar und würde beim Bier trinken zwischen Albig und de Jager keinen Unterschied machen.“

Sven Boysen: „Kommen wir zum Ministeramt. Die Tendenzen sind CDU 33 Prozent, SPD 33 Prozent, Grüne 16 Prozent und FDP im Promillebereich, das heißt sie sind der Königsmacher.“
Robert Habeck: „Ich kann mit dem Begriff Königsmacher nichts anfangen. Ich finde, dass Schleswig-Holstein keine Könige braucht. Der Gedanke Macht ist gleich Recht ist nicht richtig, sondern eher ein Gedanke der Politik von gestern und ein Stil und auch eine Haltung, die uns nicht geholfen hat Legitimation von Politik weiter hochzuhalten. Es geht nicht darum jemandem in den Sattel zu helfen und dann ist er König, sondern es geht darum Schleswig-Holstein ein paar Antworten zu geben, die bei den anderen Parteien so nicht zu finden sind. Die SPD ist natürlich die näherstehende Partei. Deswegen würden wir bei der Konstellation mit der SPD versuchen zu verhandeln und schauen was dabei raus kommt. Erst der Wahlkampf, dann die Koalitionsgespräche, dann die Inhalte und dann gucken ob sie gelingen, dann stellt sich die Frage nach den Ministerien und dann als letztes die Frage ‚Wer hat die Macht?‘.“

Sven Boysen: „Zum Thema Bildungspolitik: Wir haben von der SPD gehört: Gesamtschulen sollen bleiben, Regionalschulen sollen abgeschafft werden. Gibt es da mit Ihnen und der SPD als möglichen Koalitionspartner ein gleiches Denken?“
Robert Habeck: „Schule sollte man nicht als Sieb begreifen sondern wie ein wirtschaftliches Trampolin: Wir lassen die Kinder rauf und gucken wie hoch sie fliegen. Ich denke man sollte große systemische Entscheidungen im Bildungsbereich im Konsens treffen. Das betrifft das Thema G8 und G9 genau wie Regional- und Gesamtschulen. Dazu sollten sowohl Lehrer- und Elternverbände als auch andere Parteien hinzugezogen werden. Wir sollten Förderkriterien entwickeln und die Gelder nicht einfach auf Schularten aufteilen. Wir sollten mehr in eine individuelle Förderung investieren. Dafür haben wir einen besonderen Bedarf auf Gesamtschulen.“
Sven Boysen: „Wann erlebe ich die A20?“

Robert Habeck: „Die erleben Sie wahrscheinlich nur so halb. Ich denke eigentlich, dass westlich der A7 kein Bedarf ist. Die aktuelle Planung erschwert aber alles. Meine Idee wäre, den aktuellen Verkehr gut anzubinden, also auf neue Straßen zu verzichten und alte Wege auszubauen, um so Geld z. B. für die Bildungspolitik zu sparen. Das Land will alles, so ist es möglich, dass ein bayrischer Verkehrsminister über die Fehmarnbeltquerung, etc. entscheidet. Im Zweifelsfall entscheidet er sich jedoch nicht für Schleswig-Holstein.“
Sven Boysen: „Wie sieht es mit einer Autobahnabfahrt für Norderstedt aus?“

Robert Habeck: „Unternehmen wie tesa sind doch auch nach Norderstedt gekommen, obwohl es keine Autobahnabfahrt nach Norderstedt gibt. Ist wirklich die A7 oder der Osten das Problem? Das Beste für Norderstedt wäre doch eine schnellere Verbindung nach Hamburg.“
Marc-Mario Bertermann, Geschäftsführer der Entwicklungsgesellschaft Norderstedt: „Wir kommen auch mit den Anschlüssen zurecht, die wir haben! Die Begründung für die A20 ist doch, dass das Problem ist, dass der Ganze Norden aus Schleswig-Holstein nach Hamburg muss. Eine der wesentlichen Begründungen ist doch auch, die A20 über die A1 in den Westen Hamburgs zu ziehen, um genau dieses Nadelöhr zu beheben. Wenn ich das so richtig verstehe, ist das für Sie kein Argument.“
Robert Habeck: „Das ist kein Argument für mich, die A20 über die A7 zu bringen, um das Problem zu beheben. Ich würde wollen, dass es eine bessere Zusammenarbeit mit Hamburg gibt. Ich denke, dass die A20 auf einer veralteten Planung beruht. Denn es geht um Konkurrenz für den Hamburger Hafen. Je schneller die A20 da ist, desto schlechter ist das für den Hamburger Hafen. Besser wäre es, den Händlerverkehr in Richtung Hamburg von den Straßen zu bringen. Dieser fängt ja bereits bei Kiel und Neumünster an.“

Marc-Mario Bertermann: „Sie wollen die Pendler auf die Schienen bringen und so den Verkehr entlasten?“

Robert Habeck: „Ja, wenn die AKN besser angebunden wäre, an die S-Bahn, und so Norderstedt mit Hamburg über die S-Bahn erreichbar wäre, so könnten wir von den ca. 80.000 Autos 20.000 von der Straße bekommen.“

Sven Boysen: „Um auf ein anderes Thema zu sprechen zu kommen: Strom wird weniger, wenn er transportiert wird. Der Strom aus den Windkraftanlagen der Nordsee wird nach Bayern und im Grunde durch den Kreis Segeberg transportiert. Hierfür müssen große Trassen gebaut werden, auch an Häusern vorbei. Was sagen Sie zu dieser Situation?“

Robert Habeck: „Der Offshore-Transport nach Süden wird über eine Hochspannungs-Gleichstromleitung weiterlaufen. Diese haben weniger Verlust als Wechselstromleitungen, müssen aber noch gebaut werden. Das ist sehr teuer 20 Milliarden Euro. Doch dann stellt sich die Frage, wer das bezahlen soll und ob das nicht die öffentliche Hand sein muss, was ich bejahen würde. In Schleswig-Holstein werden nicht die HGÜ-Leitungen gebaut, da es schwer umsetzbar ist. Wir werden deshalb hier ‚leider‘ die unschönen 380 KV-Hochspannungsleitungen bauen müssen. Und wenn wir die Atomwende jetzt durchsetzen wollen, was ich auch will, dann können diese leider nicht unterirdisch gebaut werden. Die Atomwende durchzusetzen ist auch die Aufgabe der Grünen. Das ist unser Ziel für die nächste Legislaturperiode.“
Sven Boysen: „Solar ist momentan ein schwieriges Thema, da es mittlerweile weniger Geld dafür gibt.“

Robert Habeck: „Beim Thema Solar ist die Sprunghaftigkeit politischer Entscheidungen das Problem. Wie erreicht man eine faire Vergütung für alle erneuerbaren Energien? Die Idee für Schleswig-Holstein wäre, ich glaube das habe ich so noch niemandem erzählt, ein Klimaschutzgesetz, welches zeigt, wann was erreicht werden soll. Auch wenn diese Ziele schneller oder langsamer erreicht werden, können alle sehen wo wir sind. Und vor allem Dinge planen, sodass alles nachprüfbar wird. So können Preise und Arbeitsplätze angepasst werden. Das wäre ein verlässlicher Weg auf gesetzlicher Grundlage. Ziele wären die AKW-Abschaltung zu erreichen und die Strompreise zu senken. Politik ist, das in Strategien umzusetzen, was die Gesellschaft will. Die Politik besteht aus Konzepten. Das Ziel muss es sein, Konzepte in Gesetzestexte zu übersetzen. Denn Konzepte sind nur kurzfristig, sollten aber langfristig werden. Ein Gesetz zum Energieausbau bzw. ein Klimaschutzgesetz, wäre eine härtere Maßgabe als ein Konzept.“
Marc-Mario Bertermann: „Wie können wir den Stromverbrauch reduzieren?“

Robert Habeck: „Durch effizientere Technologien könnte man den Verbrauch klug steuern. Zum Beispiel Kühlschränke, die nur halb so viel Energie verbrauchen. Smart Grid ist hier auch eine Lösung, sodass ein Rasensprenger oder ein Geschirrspüler dann angeht, wenn der Strom gerade günstig ist. Diese Geräte sind schon technisch vorbereitet aber das geht natürlich nicht bei der Herzatmungsmaschine. Eine technische Entwicklung für Schleswig-Holstein, wäre es auch, wenn man CO² binden und reinigen würde und dann in Gewächshäusern zum düngen nutzt bzw. eine Algenart, die besonders ölreich ist, damit düngt. So hat man eine ‚Ölquelle‘. Dieses Thema brodelt nur so vor Ideen, die nur noch zugelassen werden müssen. Energieintensive Unternehmen siedeln sich dort an, wo die Energiequelle ist. Das kann noch sehr spannend werden.“

Marc-Mario Bertermann: „Wie sehen Sie das Zusammenspiel von Hamburg und Schleswig-Holstein?“

Robert Habeck: „Es gibt eine Kooperation mit Hamburg im Verwaltungsbereich, aber leider in keinen anderen Bereichen. Das heißt, da wo die ‚Musik spielt‘, gibt es diese nicht. Überall ist Konkurrenz nicht das wirtschaftliche Denken. Beide Länder sollten gemeinsam arbeiten, die Kräfte bündeln und über eine föderale Neuordnung nachdenken. Wenn es eine starke regionale Aufstellung im Norden gibt, profitiert das Land davon. Bezogen auf den Verkehr, ist es leider nicht wirtschaftlich, den Verkehr besser anzubinden und zu entlasten. Denn eine Straße, auf der viele Unfälle passieren, ist wirtschaftlich. Es müssen neue Autos gekauft werden, Krankenhäuser werden beansprucht, Abschleppunternehmen eingesetzt und letzten Endes profitieren auch Bestattungsunternehmen. Genau wie die Wirtschaft vom Tabakkonsum profitiert und am Ende ja auch von der dadurch benötigten künstlichen Lunge. Aber wo ist die Grenze des Wachstums? Seit Jahren gibt es die Debatte über einen alternativen Indikator für Schleswig-Holstein, eine Art Wohlfahrtsindikator. Auf diesen wirken sich Erneuerbare Energien positiv aus. Eine relative Einkommensgleich in Schleswig-Holstein ist positiv. Nicht zu sehr, aber auch keine Ungleichheit, denn sonst fühlen sich die Menschen unwohl. Die Innovationen in Schleswig-Holstein sind beim Mittelstand, dies kann man über den Indikator herausarbeiten. Und der Anstieg von dem „Grünen-Indikator“ ist gestiegen, als die Grünen nicht regierten.“