Henstedt-Ulzburg (em) „Was meint Ihr, wie hat Martin Luther die Bibel übersetzt?“ „Na, mit Google Übersetzer!“, antwortet ein Junge im Brustton vollster Überzeugung. Keiner lacht. Außer Philipp Melanchthon. Beim sogenannten Lutherprojekt in der St. Petrus-Kirchengemeinde in Henstedt-Rhen versucht er den Schülern der vierten Klasse nahe zu bringen, wie das Bibelübersetzen zur Reformationszeit vor sich ging.
Jeder Junge hat ein kleines Glas Tinte vor sich, eine echte Feder in der Hand und ein Stückchen „Pergament“, auf dem hebräische Schriftzeichen stehen. Mit Hilfe einer Tabelle sollen die Grundschüler einen Satz aus der Bibel übersetzen. „Den hat Martin Luther extra für Euch übrig gelassen“, sagt Melanchthon.
Melanchthon heißt eigentlich Marina Jacke und ist für das Lutherprojekt in die Rolle und das Kostüm dieses Reformators geschlüpft. Sie ist eine von sechs Mitgliedern der St.-Petrus-Kirchengemeinde, die am Reformationstag (31.10.) für die Grundschüler die Zeit Luthers wieder lebendig werden lassen. Dank Kostümverleih sehen alle Darsteller aus, als wären sie direkt dem 16. Jahrhundert entsprungen.
So gewandet beugt sich Marina Jacke alias Melanchthon über den neun Jahre alten Jonas. Auch er hat sich kleidungstechnisch der Zeit Luthers angenähert. Alle Grundschüler haben nämlich beim Lutherprojekt einen weißen Überwurf aus Leinen bekommen. Jonas hat auf das Papier mit dem Federkiel „Ich bin der“ gekratzt. Weiter ist er mit seiner Übersetzung nicht gekommen. „Gar nicht schlecht“, findet Melanchthon und verrät, dass das komplette Bibelzitat „Ich bin der Herr, dein Gott“ lautet. Nun noch Streusand über die Buchstaben, Löschpapier gab es ja zu Luthers Zeiten nicht. „Echt cool“, findet das der Viertklässler. Auch sein Freund Noah meint: „Mit der Feder schreiben, das ist voll witzig. Ich hab gar nicht gewusst, wie stark ich aufdrücken soll.“
Dann machen sich die Jungs auf zur nächsten Station des Lutherprojektes. Vier davon gibt es im Gemeindehaus der St.-Petrus-Kirchengemeinde, jede steht für ein zentrales Anliegen Martin Luthers. Natürlich darf da die Tür mit den 95 Thesen nicht fehlen. Die Kinder sollen nicht ehrfürchtig davor stehen und lesen. Sie sollen ihre eigenen Thesen an die Tür hämmern. Schon vom anderen Ende des Flurs hört man, ob gerade eine Gruppe Mädchen oder Jungen dran sind: Die Mädchen klopfen sachte, die Jungs dreschen mit Vergnügen den Nagel in der Tür. Auf die Zettel haben sie geschrieben, was sie „so richtig blöd“ finden und gerne ändern würden. „Kein Spinat zum Mittagessen“, steht auf einem Papier. „Dass ich nicht immer Schuld bin, wenn mein Bruder etwas anstellt“, auf einem anderen. Emelie pinnt „Dass Menschen in Afrika nicht vor den Augen der Kinder getötet werden“, an die Tür.
Käthe Giering ist beeindruckt, was die Kinder da alles anschlagen. Sie ist am Vormittag des Reformationstages in die Rolle der Katharina von Bora geschlüpft, der Ehefrau Martin Luthers. „Wenn man das liest, wird einem bewusst, welche Lasten, die Kinder schon in der vierten Klasse mit sich herumtragen“, sagt die Ehrenamtliche der St. Petrus-Kirchengemeinde.
Symbolisch für diese Last bekommen die Kinder beim Lutherprojekt einen Wackerstein, den sie in einer Jutetasche von Station zu Station schleppen. Sie nehmen ihn auch mit zu Karlstadt, einem Freund Martin Luthers. „Karstadt“, witzelt einer der Jungen. Bei Karlstadt wird aber auch er ernst. Er soll mit seinen Schulkameraden entscheiden, ob sie ihr Geld für Brot oder Feuerholz ausgeben. Oder ob sie sich durch Ablassbriefe von ihren Sünden freikaufen. „Ich will Holz kaufen, damit wir nicht frieren“, schlägt Jonas vor. Als die Jungs schließlich abstimmen, entscheidet sich eine Hälfte für das Holz, die andere für die Ablassbriefe. Nur einer würde Brot kaufen. Karlstadt alias Christoph Kaiser erklärt den Schülern daraufhin, dass Jesus am Kreuz schon für ihre Sünden bezahlt hat. Er hat ihnen diese Lasten schon abgenommen. Also sind Ablassbriefe sinnlos.
Christoph Kaiser ist begeistert, wie viel die Kinder schon über die Reformation wissen: „Die haben im Religionsunterricht gut vorgearbeitet, den brauche ich gar nicht zu erklären, was Ablassbriefe oder Fegefeuer sind“. Auch an der nächsten Station, dem „Gewittererlebnis“ Martin Luthers wissen etliche Kinder Bescheid. Überall wird gelacht, aber auch ernsthaft nachgedacht. Nicht zuletzt deshalb glaubt Christoph Kaiser, dass die Kinder von diesem Vormittag viel über die Reformation mitnehmen.