Norderstedt (em) „Brauchen wir ein sozialpädiatrisches Zentrum (SPZ) für Kinder mit besonderen Bedürfnissen wie bei chronischen Krankheit oder Behinderung und deren Familienangehörigen in Norderstedt / Südholstein?“, war die Fragestellung zu der vom Verein „Kunterbund“ am 23. September ins Hotel Wilhelm Busch in Norderstedt Politik, Spezialisten und Vereine eingeladen wurden.

Gülnur Dizman und Dr. Thomas Schneider moderierten die Veranstaltung, die zusammen mit Dr. Reinhard Zahn konzipiert wurde. Der Verein „Kunterbund“ ( www.kinderzentrum-kunterbund.de ) kümmert sich um die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Südholstein oder der Region „nördlich von Hamburg“.

„Es geht uns besonders um die Versorgung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen wie chronischer Krankheit oder Behinderung“ führt die Kinderärztin und Kunterbund-Vorstandsmitglied Gülnur Dizman aus. „Was wir hier brauchen ist eine individuell angepasste komplexe Diagnostik und Therapie. Das lässt sich nur in einem SPZ (sozialpädiatrisches Zentrum) realisieren. Aber die vorhandenen Zentren sind zu weit (80 km Pelzerhaken/Ostholstein) oder an sich nicht zuständig (30 km Werner-Otto - Institut Hamburg). Egal wie, die Wartezeiten überschreiten ein halbes Jahr.“

Dr. Stefan Ortfeld, der Leiter des SPZ Pelzerhaken, stellt die Grundlagen und die rechtliche Situation der sozialpädiatrischen Zentren dar. „Die Situation hat sich in letzter Zeit sehr gebessert. Durch eine bessere Finanzierung konnte mehr Personal eingestellt werden, und die Wartezeiten sind auf Wochen bis Monate gesunken“. Zusammen mit dem Leiter der Epileptologie (betreut speziell Kinder mit Krampfanfällen)

PD Dr. Rainer Boor wird auf die Entwicklung der letzten 2 Jahre eingegangen, in denen sich das SPZ Pelzerhaken auf alte Tugenden besonnen hat. Für Kinder mit Zerebralparesen, Störungen der Muskelfunktion und Krampfanfällen wird das bekannte multiprofessionelle Team verstärkt, 3 Psychologen sind eingestellt, und modernste Medizin wird angeboten. Dr. Stefan Ortfeld stellt aber klar: das Hauptproblem - die Unterfinanzierung der SPZ in Schleswig-Holstein - bleibt. „Das ist in Niedersachsen, Hamburg oder Mecklenburg-Vorpommern ganz anders. Dort gibt es Zuschüsse vom Land oder von der Stadt, und die Kassen finanzieren ganz andere Scheinzahlen (durch die gesetzliche Krankenkasse bezahlte Therapien)“. PD Dr. Rainer Boor hält dann einen Fachvortrag über „elektronisch gestützte (video-) telemetrische epileptologische Versorgung mit dem Behandlungskalender Epi-Vista®“. Auch für Laien verständlich wird das Konzept der computergestützten Auswertung von permanent übermittelten Daten zum Anfallsgeschehen (Art, Häufigkeit Dauer von Anfällen) und deren Schlussfolgerungen durch den Epileptologen dargelegt. „Damit wird ein völlig neues Niveau der Behandlung von Anfällen erreicht. „Ich kann individuell auf die Besonderheiten jedes einzelnen Patienten eingehen, ohne dass er permanent im Zentrum erscheinen muss“ sagt PD Dr. Rainer Boor.

Hier schließt sich der Kreis, so Dr. Thomas Schneider (Vorsitzender von Kunterbund und Kinderarzt in Hamburg). Am Beispiel der Behandlung von epileptischen Anfällen bei komplex kranken Kindern wird gezeigt, wie es gehen kann. „Ist ein starkes multiprofessionelles SPZ hier in Südholstein vor Ort mit einer ambulanten Einrichtung vertreten, können die Patienten primär eingeschätzt und verschiedenen Betreuungspfaden des spezialisierten SPZ zugeführt werden. Eltern und betroffene Kinder können telemetrisch über Online-Kontakte oder auch stationär im Pelzer Haken betreut werden“ so Dr. Thomas Schneider.

Er vergleicht die Situation mit Hamburg-Harburg, wo es seit kurzem eine ambulante Außenstelle des Werner-Otto-Institutes gibt. Erst hieß es: für die 170.000 Einwohner in Harburg sei dies unmöglich, dann hatten es die niedergelassenen Kinderärzte der Region 2019 zusammen mit Dr. Christian Fricke vom WOI durchgesetzt. „in Norderstedt, Henstedt-Ulzburg und Kaltenkirchen mit umgebenden Gemeinden sind es ebenfalls 170.000 Einwohner“ so Dr. Thomas Schneider, „und die niedergelassenen Kinderärzte sind nicht minder engagiert“, das bestätigt Dr. Jörg Benzig (Kinderarzt in Henstedt-Ulzburg und Quickborn) aus der Runde.

Hier meldet sich die Politik zu Wort. Frank Schulz von der CDU-Fraktion in Norderstedt äußert sich zu dem offensichtlichen Missstand in der Versorgung schwer chronisch kranker und behinderter Kinder. Er nimmt die Situation schon lange wahr und hatte dies in einer Pressemitteilung über „Zu wenig Ärzte für Kinder und Ältere in Norderstedt“ zur öffentlichen Diskussion gestellt. Dazu würde noch die Situation der Unterversorgung chronisch kranker und behinderter Kinder kommen. Umso mehr sei er betroffen, wie unterschiedlich es in den unterschiedlichen Bundesländern gehandhabt wird. „Hier müssen wir uns einschalten“ und „ich werde mich für ein SPZ einsetzen“ und die Kreis- und Landtagsabgeordneten der CDU mit ins Boot holen“ sagt der Pressesprechender der CDU-Fraktion im Sozialausschuss (Stadtparlament Norderstedt).

Dr. Matthias Helt, Anästhesist und Chefarzt an der Paracelsusklinik Henstedt-Ulzburg ist an diesem Thema schon länger dran und sieht (als Mitglied des CDU Sozialausschusses) in der Kooperation mit dem SPZ Pelzerhaken eine „unbedingt förderwürdige“ Konstellation, die unbedingt „bis zum Ziel verfolgt“ werden muss. Er bietet ausdrücklich Hilfe als Politiker und auch als Chefarzt einer Klinik an. Die telemetrische Epilepsie-Betreuung kann auch etwas für die Klinik sein.

In der Runde diskutiert Frau Solli Dogunke für die Kindertagesstätten „der Kinder wegen“ und betont aus Ihrer Sicht den Bedarf an Medizin für chronisch kranke Kinder, der über die Frühförderung hinausgeht. Dr. Reinhard Zahn (Vorstandsmitglied Kunterbund) nimmt Bezug auf die langjährigen ehrenamtlichen Bemühungen und betont, wie wichtig der Einsatz der niedergelassenen Kinderärzte und der betroffenen Eltern ist.

Frau Yi-Ling v. Mackensen (Hautärztin und betroffene Mutter aus Norderstedt) sagt: „Es wäre großartig, wenn mit Hilfe der Kollegen aus Pelzerhaken sowie der Kommunalpolitik ein erstes Konzept auf die Beine gestellt werden könnte, und es würde mich sehr interessieren zu erfahren, wie das Vorhaben, die medizinische Versorgung von Kindern mit Behinderung und besonderen Bedürfnissen lokal zu verbessern, weiter Gestalt annimmt.“

Erste Reaktionen kommen aus dem SPZ Pelzerhaken. „Wir sollten mit einer Pilotphase zur videotelemtrischen Epilepsie-Betreuung beginnen. Im ersten Schritt würde es genügen, den Eltern/Praxen/ . ein Laptop (mit Webcam) zur Verfügung zu stellen“.

Zum anderen „ist es nochmal wichtig alle Kinderärzte an den Tisch zu bekommen“, sagt Dr. Thomas Schneider.

„Wichtig wird sein, dass die Kinderärzte mit betroffenen Eltern sprechen, um eine Kontaktaufnahme mit den Vereinen Kunterbund & Der Kinder wegen zu ermöglichen“ sagt Frank Schulz von der CDU. „Hierdurch bekommen wir die Zahlen der betroffenen Familien und deren enorme Wartezeiten, bis ihr Kind zu einer Behandlung kommen kann zusammen. Dadurch haben wir in der Politik die Möglichkeit, dies in den kommunalen, Kreis- und Landtagsausschüssen mit den Fraktionen zu diskutieren und Möglichkeiten einer Förderung auszuschöpfen.