Kaltenkirchen (em) Ausgabendynamik, vernachlässigte Therapieoptionen und technikgetriebene Innovationen die Bilanz des diese Woche in Berlin vorgestellten BARMER GEK Heil- und Hilfsmittelreports 2011 fällt gemischt aus. „Im Grunde ist der Heil- und Hilfsmittelmarkt immer noch eine teure Blackbox, über die wir zu wenig wissen“, sagte der Vorstands-Vize der BARMER GEK Dr. Rolf-Ulrich Schlenker.
Insbesondere bei Venenerkrankungen, Harninkontinenz und Arthrose werden Behandlungsalternativen im Heil- und Hilfsmittelbereich zu spät, sparsam oder gar nicht wahrgenommen. So wäre die Behandlung mit Kompressionsstrümpfen bei Venenerkrankungen oft effektiver als das weit verbreitete „Venenstrippen“, eine Krampfader-Operation. Bei Harninkontinenz wirkt konsequentes Beckenbodentraining prophylaktisch und kurativ. Und auch bei Arthrose wären physiotherapeutische Maßnahmen häufig vorteilhafter als verfrühte Hüft- oder Knie-Operationen. Schlenker: „Der gezielte Einsatz von Heil- und Hilfsmitteln könnte den Patienten unnötige oder verfrühte Krankenhausaufenthalte und überflüssige chirurgische Eingriffe im großen Stil ersparen.“
Demographische Entwicklung treibt Ausgaben
Fast sieben Prozent der Gesamtkosten entfallen mittlerweile auf Heil- und Hilfsmittel. Die Heilmittel hatten 2010 einen Anteil von rund 3,2 Prozent an den Gesamtausgaben der BARMER GEK, die Hilfsmittel sogar von 3,5 Prozent (GKV gesamt: Heilmittel 2,8 Prozent, Hilfsmittel 3,6 Prozent). Bei 573 Millionen Euro gab Deutschlands größte Krankenkasse im vergangenen Jahr rund 7,8 Prozent mehr für Heilmittel aus als im Vorjahr. Die Ausgaben für Hilfsmittel stiegen um 5,1 Prozent auf 666 Millionen Euro. Pro Versichertem ergab sich ein Plus von 4,4 Prozent bei Heilmitteln und 1,9 Prozent bei Hilfsmitteln. In der GKV insgesamt wurden 6 Milliarden Euro für Hilfsmittel und 4,6 Milliarden Euro für Heilmittel aufgewandt.
Damit setzt sich der Trend fort, dass die Heil- und Hilfsmittelausgaben kontinuierlich zulegen. Zwischen 2004 und 2010 verzeichnen Heilmittel in der GKV einen Anstieg um 26,4 Prozent, Hilfsmittel um 14,7 Prozent. „Die demographische Entwicklung und technische Innovationen treiben die Ausgaben in beiden GKV-Marktsegmenten kontinuierlich nach oben. Wir müssen aufpassen, dass dabei die Versorgungsqualität nicht auf der Strecke bleibt“, warnt Studienautor Professor Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen (ZeS). Offenbar bleibe Versorgungspotential ungenutzt. Ein evidenzbasierter Einsatz könne erhebliche Effizienzreserven heben, so Glaeske.
Hinweise für einen ineffizienten bzw. medizinisch fragwürdigen Einsatz von Beitragsgeldern fanden die Autoren vom ZeS in beiden Bereichen. Glaeske sieht einen Lösungsansatz in einer ausgeweiteten Gesundheitsberichterstattung. „Sie kann Grundlage für Bedarfsanalysen und eine Qualitätsanalyse sein, die eine Steuerung nicht nur über Preise, Budgets und Leistungsvolumina, sondern auch über Qualitätsindikatoren erlaubt.“
GKV-Versorgungsstrukturgesetz im Rückwärtsgang
BARMER GEK Vizechef Schlenker betont, wie wichtig das Instrument der Ausschreibung im Bereich der Hilfsmittelversorgung sei. „Wir nutzen hier unsere Einflussmöglichkeit auf eine gute und günstige Breitenversorgung der Versicherten.“ Nach Bekanntwerden der Änderungsanträge zum GKV-Versorgungsstrukturgesetz übt er Kritik am Koalitionskurs: „Dieses Gesetz bekommt immer mehr Schlagseite. Sinnvolle Ansätze wie die spezialärztliche Versorgung werden auf die lange Bank geschoben und fragwürdige Initiativen wie der Medikationskatalog werden in letzter Minute platziert.“ Gleichzeitig stelle man die Gestaltungsoptionen der Krankenkassen über Ausschreibungen in Frage und erschwere das Vertragshandeln der Kassen bei Verträgen zur Integrierten Versorgung.